Rückblick 2015 – Randerscheinung
Spannende Grenzerfahrungen auf der Schlossmediale Werdenberg
Die Schlossmediale Werdenberg präsentierte vom 22. bis 31. Mai Kompositionen, Fotografien, Performances und Installationen zum diesjährigen Motto «Randerscheinung». Das internationale Festival für Alte Musik, Neue Musik und audiovisuelle Kunst überzeugte das Publikum mit seinem vielseitigen, ausgefallenen und besonderen Programm. Über 2'100 Festivalbesucher strömten nach Werdenberg.
Helmut Oehring, Komponist im Fokus, ist von den beeindruckenden Räumen des 800 Jahre alten Schlosses begeistert. «Die Atmosphäre in diesen Mauern ist unglaublich – das schafft kein Konzertsaal», schwärmt Oehring während des Künstlergespräches. Der Starkomponist hat im Rahmen des Festivals vier Werke uraufgeführt. Just eine Nacht vor seiner ersten Uraufführung auf Schloss Werdenberg gewann Oehring den Deutschen Musikautorenpreis in der Kategorie Komposition Musiktheater.
Fräulein Hilty's Badewanne als Instrument
«Water Walk» von John Cage führte wie ein roter Faden durch das Festival. Jan Schlichte spielte die Aufführung mit verschiedenen Musikinstrumenten – darunter ein Dampfkochtopf, Fräulein Hilty’s Badewanne und ein Gummi-Fisch – minutiös nach. Auch Daniel Wetzel (Künstler im Fokus) vom schweizerisch-deutschen Dokumentartheater Rimini Protokoll setzte sich mit «Water Walk» auseinander. Zusammen mit 15 jugendlichen Flüchtlingen hat der Reinhart-Ring-Gewinner das Stück nach deren Erfahrungen und Erlebnissen neu inszeniert. Das Publikum konnte in dem daraus entstandenen choreografierten Konzert «Evros Walk Water», das eigens für die Schlossmediale geschaffen wurde, in die Geschichte der Flüchtlinge eintauchen. Für wärmenden Wohlklang in den noch kühlen Schlossmauern sorgte das Early Bird Ensemble bereits beim Eröffnungskonzert. Standing Ovations erntete das Trio Oreade zusammen mit Musikern des Tonhalle Orchesters Zürich für Arnold Schönberg’s «Verklärte Nacht».
Tropfsteinhöhle und musizierende Roboter
Zentraler Bestandteil des Festivals war die zehn Tage dauernde Ausstellung. Kunst schafft Überraschungen, überschreitet Grenzen, thematisiert Grundwerte und berührt Herzen. «Es ist mein Ziel, dass die Werke der Schlossmediale Werdenberg zum Nachdenken und Weiterdenken anregen», bezeugt die künstlerische Leiterin Mirella Weingarten. So luden beispielsweise die Fotografien «Monalisen der Vorstädte» der stilprägenden Fotografen Ute Mahler und Werner Mahler zum Sinnieren ein. In einem Rundgang brachten die Stipendiaten Anna Kubelik, Robert Jacobsen und Joachim Knobloch den Besuchern ihre Kunstwerke näher. Während sechs Wochen lebten sie zusammen im Künstlerhaus im Städtchen Werdenberg – ihre Werke und Persönlichkeiten ergänzten sich perfekt. Anna Kubelik präsentierte im Turmkeller die filigrane, mit Tropfen Klang erzeugende Installation «Wohltemperierter Hygrometer». Wortfetzen von Joachim Knobloch zierten das Schloss sowohl aussen als auch innen und schafften in ihrer Konstellation ganz neue Zusammenhänge. Zweimal wurde die wohl verrückteste Miniatur Opera der Welt gezeigt. Robert Jacobsen führte dabei zwei Tänzerinnen mit klingenden Robotern zu einem Space Ensemble zusammen. Zu ganz besonderen Grenzerfahrungen lud die Videoinstallation vom einheimischen Manfred Schiefer ein. Während mehrerer Jahre dokumentierte er die Grenze zwischen Buchs und Schaan. Entstanden ist ein abwechslungsreiches Rheinblick-Tagebuch.
Leuchtende Kinderaugen und amüsierte Erwachsene
Für leuchtende Kinderaugen sorgte das Musiktheater «Der Josa mit der Zauberfiedel». Die Geschichte von Josa zu den Bildern von Janosch, gelesen von Mia und Joscha Oehring, wurde von Mitgliedern der Berliner Philharmoniker begleitet. Das in London beheimatete «Blind Summit Theatre» führte Kinder und professionelle Puppenspieler in zwei Workshops in ihre Kunst ein. Die abendliche Aufführung «The Table» zeigte wie viel Vergnügen eine freche und intelligente Puppenspiel-Inszenierung bieten kann. Gemeinsam brillierten Mark Down, Mitbegründer der Truppe, Sean Garratt und Laura Caldow mit dem japanischen Bunraku und der Puppe Moses. Jürg Kienberger erfreute das Publikum am Pfingstmontag mit viel Wissenswertem und Unterhaltsamen über das Leben und Sterben der Bienen.
Besondere Grenzgänge
Mit dem Bus begann am Samstagabend eine Reise über den Rhein nach Liechtenstein bis nach Österreich. Auf der Rheinbrücke erwarteten die Gäste Transparente aus der Werkserie «Allee der übrigen Worte» von Joachim Knobloch. Das Montforthaus Feldkirch war Schauplatz eines Sägemehl-Spektakels: Neue Musik, Alte Musik und Schweizer Traditionen vermischten sich auf eine spannende Art. Zum ersten Mal wurde die Komposition «EDGEmusic» von Helmut Oehring, gesungen von den überragenden Neuen Vocalsolisten aus Stuttgart, aufgeführt. Das Ensemble 333 trat in kleiner, neuer Konstellation auf überzeugte mit ihrem Repertoire aus der alten Musik. Immer wieder wurden leidenschaftliche Jodellieder von Nadja Räss, Eigenkompositionen vom Schwyzerörgeli-Virtuosen Markus Flückiger und traditionelle «Hosenlupfs» der Schwinger Raphael Zwyssig und Thomas Sutter in den Abend eingeflochten.
Reise von Zweig bis Schubert
Leo Hofmann konzipierte das szenische Konzert «Ungeduld» am Übergang zwischen Sprache und Musik. Die verfremdeten und verzerrten Texte von Stefan Zweig kamen mit elektronischen Klängen und Gesten in der Dunkelheit des Schlosses besonders zum Tragen. Auch das Klanglabor Liechtenstein beschäftigte sich mit nachdenklichen Texten und performativen Elementen dem Thema «Randerscheinung». Mittelpunkt dabei war das «Hang», ein einfaches Perkussions-Instrument aus Stahlblech. Denise Kronabitter und Marco Sele verstanden es, mit Fingern und Handballen über die Oberfläche des Instruments zu huschen und ihm so subtile Töne zu entlocken. Die Gruppe rund um Arno Oehri erntete viel Beifall für ihre nicht alltägliche Konzeption und Formation. Am letzten Tag nahmen der Countertenor Bernhard Landauer und David Behnke am Klavier das Publikum mit auf Franz Schubert’s «Winterreise». Den Schlusspunkt des Festivals setzte die Akrobatik-Performance «Ohne Louis» der Compagnie Roikkuva. Mit Tanz auf dem Seil zwischen den Schlossmauern, rhythmisch angetrieben von einer Ein-Mann-Band erfuhr die Schlossmediale das «Grande Finale».
Grosses Publikumsinteresse
Mehr als 2’100 Kulturliebhaber haben die Schlossmediale 2015 auf Schloss Werdenberg und das Konzert im Montforthaus in Feldkirch besucht. Kurt Scheidegger, Geschäftsleiter vom Verein Schloss Werdenberg, freut sich vor allem, dass immer mehr Leute extra aus Zürich und Deutschland anreisen und für einige Tage in der Region bleiben. Grund dafür sind einerseits die weltbekannten Kunstschaffenden aber auch die Einzigartigkeit des Festivals, welche sich in Liebhaberkreisen herumspricht. Andererseits besuchen durch die morgendlichen Yoga-Lektionen von Sarah Buchli und durch die sehr geschätzten szenischen Konzerte auch immer mehr Einheimische das Festival. Mirella Weingarten schaut etwas wehmütig auf das grenzüberschreitende Festival zurück, freut sich aber bereits auf Pfingsten 2016. Zum kleinen 5-jährigen Jubiläum widmet sich die Schlossmediale Werdenberg vom 13. bis 22. Mai 2016 dem Thema «Häutungen».