Rückblick 2019 – Gold
GOLD IN KEHLEN, SAITEN, RYTHMEN
Jazz auf Barockinstrumenten und Zeitgenössisches auf der Zither, indische Rhythmen in der Klosterkirche und mehr als einmal überirdische Stimmen: Bei der 8. SCHLOSSMEDIALE von 7. – 16. Juni 2019 konnten die Besucherinnen und Besucher an zehn aussergewöhnlichen Abenden unter dem Jahresthema GOLD die ganze Bandbreite der Schlossmediale-Idee durchleben: wie Altes und Neues, Nahes und Fernes, Archaisches und Modernes, Schräges und Vertrautes zu einem organischen Ganzen verschmelzen kann. Drei Konzerte waren ausverkauft (GOLDNE ZEIT, LE CONCERT DES PARFUMS und ICH BINS DEINE MUTTER) und auch die Ausstellung GOLD war überdurchschnittlich gut besucht. Insgesamt konnten bei der Schlossmediale 2019 2’388 Besucherinnen und Besucher gezählt werden.
«Altes und Zeitgenössisches, das sich nahtlos aneinanderschmiegt»
«Diese Momente, wenn sich in den Konzerten alte und zeitgenössische Klänge so nahtlos aneinanderschmiegen, als hätten sie immer schon nur füreinander existiert, waren in diesem Jahr mein grösstes Glück», schwärmt die künstlerische Leiterin des Schloss Werdenberg, Mirella Weingarten. «Sei das im Eröffnungskonzert GOLDNE ZEIT mit seinem Programm zwischen Felix Mendelssohn, György Ligeti und Manuela Kerer, sei das im CONCERT DES PARFUMS mit dem Ensemble von Michel Godard, das voller Groove mit Theorbe und Viola da Gamba jazzte, oder im Konzert IMPRESA OMONERO, wenn auf Zither und Akkordeon der Übergang von der Renaissance-Musik zum modernen Auftragswerk so selbstverständlich gelingt. Aber all das wäre nichts ohne unser wunderbares, neugieriges Publikum – das uns in diesen acht Jahren sehr ans Herz gewachsen ist, und das sich voller Abenteuerlust auf immer neue musikalische Spuren begibt.»
Auch Thomas Gnägi, Leiter Schloss Werdenberg, zieht eine erfreuliche Bilanz: «Die besondere Zusammensetzung des Programms und die vielen Menschen, die sich inzwischen das ganze Jahr auf die Konzerte der Schlossmediale freuen: Diese zwei Dinge sind es, die dieses zehntägige Festival zu einem nicht mehr wegzudenkenden Fixpunkt im Werdenberger Kulturjahr gemacht haben. Ausverkaufte Abende sind bei der Schlossmediale inzwischen die Regel, nicht die Ausnahme. Was kann man sich für ein Festival, das die Hörgewohnheiten des Publikum bisweilen durchaus herausfordert, Schöneres wünschen?»
Zahnbürstensurren und Atemlosigkeit
Die Musik von Manuela Kerer, der diesjährigen Komponistin im Fokus, zog sich als «goldener Faden» durch das ganze Schlossmediale-Programm. Im Rahmen dreier Konzerte – GOLDNE ZEIT am Eröffnungsfreitag, DER GOLDENE WESTEN am Samstag und IMPRESA OMONERO – war die Südtiroler Komponistin mit Uraufführungen vertreten.
Das Konzert am Eröffnungstag, als der Föhn bei 30 Grad im Schatten ums Schloss fegte und mit seinem Brausen bisweilen Teil der Musik wurde, stand ganz im Zeichen von Kerers neuestem Werk «tocco», dem diesjährige Auftragswerk der Schlossmediale. Entsprechend dem Jahresthema war es dem König-Midas-Mythos gewidmet: Atemberaubend im wahrsten Sinne die sängerische Umsetzung durch das Arcis Saxophon Quartett und die deutsche Ausnahme-Sopranistin Sarah Maria Sun, die das Ersticken von Midas Tochter, von ihrem Vater in Gold verwandelt, am Ende nahezu physisch greifbar machte.
Manuela Kerers Lust und Interesse an der musikalischen Erforschung von Alltagsgegenständen konnten die Besucherinnen und Besucher tags darauf, am 8. Juni im Konzert DER GOLDENE WESTEN erfahren: nach einem fast überirdisch klingenden Empfang im Zwinger durch Sarah Maria Sun tauschten die vier jungen Musikerinnen des Kubus-Streichquartetts für die Uraufführung von Kerers «Impos II» nämlich ihre Saiteninstrumente kurzerhand gegen elektrische Zahnbürsten – und zeigten, dass man dem Motorengesurr elektrischer Haushaltsgeräte faszinierende Musik entlocken kann.
Jazz, der auf Barockinstrumenten groovt
Am Sonntagabend, 9. Juni flossen im CONCERT DES PARFUMS mit dem französischen Serpent-Virtuosen Michel Godard Jazz und alte Musik, Improvisationen und Barock so mühelos ineinander, dass es am Ende ganz natürlich erschien, eine groovige Nummer des amerikanischen Jazz-Pianisten Thelonius Monk gespielt auf Viola da Gamba und Theorbe zu hören. Aber nicht nur das Gehör der Besucher kam an diesem Abend auf seine Kosten, auch ihre Nasen: Zahlreiche, speziell für das Konzert kreierte Duftkompositionen von Ursula S. Yeo wurden mittels langer, weisser Baumwollfahnen im Raum verteilt und versetzen die Anwesenden mit Aromen wie Orangeblüte Patchouli, Sandelholz und Bergamotte in orientalische Paläste, duftende Blumenwiesen, und mediterrane Macchia-Einsamkeit.
Silbrig-süsser Trost des Rokoko
Der zartklingendste Abend des Festivals aber war der Pfingstmontag, 10. Juni mit Franziska Fleischanderl und ihrem silbrig-hellen Salterio und dem goldenen Sopran von Mirjam Feuersinger. IL DOLCE CONFORTO («der sanften Trost») nannte man dieses melancholisch klingende und wunderschön verzierte Hackbrett des Barock zu seiner Blütezeit im 18. Jahrhundert. Zu recht, wie die junge österreichische Musikerin, die dieses Instrument nicht nur spielt, sondern auch mit grosser Leidenschaft erforscht, bewies, indem sie gemeinsam mit der Cellistin Carla Rovirosa und dem Organisten Andrea Buccarella ein Programm voller, zarter, überweltlicher Werke des italienischen Rokoko ins Schloss brachte.
Ein furioser Soloabend
Ein Abend ganz ausser Konkurrenz war der Soloabend des unvergleichlichen Wolfram Koch – einer der derzeit fabelhaftesten deutschen Bühnenschauspieler und ausserdem Frankfurter Tatort-Kommissar. In seinem furiosen Ein-Mann-Stück ICH BINS DEINE MUTTER, basierend auf Texten des deutschen Schriftstellers und Theater-Regisseurs Einar Schleef, kämpfte sich Koch am Mittwoch, 12. Juni auf goldener Säule stehend durch das Leben seiner Mutter, die, von der Mauer rund um die DDR umschlossen, nur aus der Ferne mit ihrem Sohn sprechen kann.
Koch tanzte, stampfte, kletterte und marschierte mit soviel Verve, dass man bald vergass, dass es nur er allein war, der eine ganze Menagerie verschiedenster Figuren aufleben liess: vom verlassenen Endfünfziger bis zur leidenden Mutter, von der lakonisch-jugendlichen Liebhaberin bis zum früh verstorbenen Zeichenlehrer.
Vom Gestern ins Heute und retour
Ein besonderes musikalisches Erlebnis wurde den Besuchern am Donnerstagabend, 13. Juni im Konzert IMPRESA OMONERO mit der bekannten Zürcher Akkordeonistin Vivian Chassot und dem Tiroler Zitherspieler Martin Mallaun zuteil. Die beiden bewiesen nicht nur, dass ihre beiden Instrumente perfekt zueinander passen; es gelang ihnen auch, die Übergänge von der Musik des Renaissance-Komponisten John Dowland über die Auftragswerke an Lukas Langlotz und Manuela Kerer bis hin zu Astor Piazollas Tangos vollkommen nahtlos und natürlich zu gestalten: Aus unterschiedlichsten Werken wurde so ein Programm, das nicht aus Gegensätzen, sondern aus einem Guss bestand.
Takka-Takka, Takka-Takka, Takka-Takka
BELLS OF TIME nannte sich das Konzert, das am Freitag, 14. Juni die Rhythmen und wirbelnden Bewegungen Nordindiens in Schloss brachte und das Publikum zu Begeisterungsstürmen hinriss. Die meisterliche Kathak-Tänzerin Kaveri Sageder und die Sängerin Anuradha Genrich aus Indien sowie der österreichische Perkussionist Bernhard Schimpelsberger verbanden nordindischen Tanz, klassisch indischen Gesang und westliches Perkussions-Repertoire: Mit grosser Lust am Experiment, offensichtlicher Leidenschaft und einem allen ins Blut gehenden «takka-takka, takka-takka, takka-takka»-Ryhthmus erschufen die drei einen einzigartigen Abend, dessen mitreissender Funke vom ersten Moment an auch die Besucher erfasste.
Barockes Gold, leuchtende Gewänder, schwarzer Marmor
Die Aussenstelle der Schlossmediale bescherte den Besucherinnen und Besuchern auch in diesem Jahr einen faszinierend-einzigartigen Abend – räumlich und musikalisch. Hoch über dem Rheintal, in der barocken Klosterkirche Pfäfers, deren Goldornamente auf schwarzem Marmor erstrahlen, war am Samstag, 15. Juni in einer GOLDENEN NACHT nicht nur das renommierte Schweizer Barockensemble Les Passions de l’Ame zu erleben. Auch Indien war mit Perkussionist Bernhard Schimpelsberger, Sängerin Anuradha Genrich und Tänzerin Kaveri Sageder ein weiteres Mal vertreten. Und noch einmal begeisterte die Tänzerin, deren farbige Gewänder vor dem Hintergrund des schwarzen Marmoraltars besonders leuchteten, mit enormer Rhythmik, Schnelligkeit und Körperbeherrschung. Gänsehaut und Standing Ovations dann am Schluss nach Gregorio Allegris überweltlich klingendenem A-capella Choral «Miserere», dargeboten vom Vokalensemble Ensemble 333. Mit wie viel Kunstfertigkeit die Menschen in allen Ländern und zu allen Zeiten Gott gepriesen haben, das hat dieser Abend gezeigt – sei es nun Krishna oder die heilige Dreifaltigkeit.
Musikalische Begegnungen zum GRANDE FINALE
Das Abschlusskonzert und das GRANDE FINALE der Schlossmediale am Sonntag, 16. Juni gehörten in diesem Jahr ganz dem interkulturellen Ensemble Constantinople: Die Musiker des kanadischen Ensembles stammen aus unterschiedlichsten Kulturkreisen, aus Ländern wie dem Iran, der Türkei und dem Senegal. Inspiriert von der antiken Stadt Konstantinopel hat es der iranische Sitarvirtuose Kiya Tabassian (*1976) 1998 als Forum gegenseitiger musikalischer Begegnung gegründet. Im Konzert ET JE REVERRAI CETTE VILLE ÉTRANGE («Ich werde diese seltsame Stadt wiedersehen») erweckten die Musiker das gleichnamige Stück und die Reiseerinnerungen des Komponisten Claude Vivier an fremde Länder, Menschen und Musiktraditionen wieder zum Leben.
Wenn der Wunschfisch zum Verhängnis wird
Einen Zauberfisch, der alle Wünsche erfüllt, wer hätte das nicht gern? GOLD!, die zauberhafte Kinderoper für Mezzosopran und Schlagzeug, die der junge niederländische Komponist Leonard Evers aus dem bekannten Märchen «Vom Fischer und seiner Frau» gemacht hat, war in diesem Jahr am Pfingstwochenende im Rahmen der KINDERMEDIALE zu sehen. Feinsinnig und nachdenklich erzählt GOLD! von Armut, Hochmut und davon, dass die Gier nach mehr nicht unbedingt zum Glück führt.
Von der wohlmeinenden Gier der Eltern bis zu den wachsenden Zweifeln des kleinen Jacobs angesichts der immer überwältigenderen Fülle an Dingen, die das Leben doch nur komplizierter machen: Die Mezzosopranistin Theresa Holzhauser und der Perkussionist Martin Flüge zeigen in diesem Stück des Theaters St. Gallen eindrücklich, dass eine schauspielerisch sehr begabte Sängerin und ein Meister an den Perkussionsinstrumenten genügen, um ein Märchen mit all seinen Personen ganz und gar filmisch zu erzählen.
Soviel Gold wie nie im Schloss
Die AUSSTELLUNG der Schlossmediale hüllte das Schloss zehn Tage lang in GOLD, von der Zinne bis in den Schlosskeller: Was das Gold mit und aus den Menschen macht, wann es Treue oder Neid, Gier oder Vergänglichkeit bedeutet, haben die Künstlerinnen und Künstler in diesem Jahr ergründet. Allen voran die diesjährige Künstlerin im Fokus, die Schweizer Kostümbildnerin Marion Steiner. Ihre Figurinen und lebensgrossen Figuren bevölkerten das ganze Schloss und geleiteten Besucherinnen und Besucher entlang all der goldigen Mythen und Geschichten: von der Goldmarie zum Goldenen Vlies, vom goldenen Racheengel bis zum glänzenden Geschäftsanzug mit schimmerndem Aktenkoffer.
Auch die drei Stipendiaten Bernd Aury, Frank Bölter und Miguel Rothschild liessen im Schloss neue und uralte Menschheitsträume zwischen goldenem Stroh, goldenen Ferraris und dem legendären Stein der Weisen erstehen: In der Schlossküche funkelte CRASH von Miguel Rothschild, riesige, leuchtende Diamanten, gefertigt aus zerhauenem Sicherheitsglas. In der Zinne schwebte, einer überdimensionalen Nervenzelle gleichend, die MACHINA CAETANO von Bernd Aury, ein organisch anmutendes Gebilde aus Stroh und Kompositgold. Und im 1. Stock glänzte FORigamiMEL 1, der riesige, goldene Origami-Ferrari von Franz Bölter: gefaltet aus Rettungsfolien von Städtli-Bewohnerinnen und –bewohnern in Gemeinschaftsarbeit.
Zwei ehemalige Stipendiaten der Schlossmediale Werdenberg kehrten mit Installationen ins Schloss zurück: Die junge Schweizerin Anna Kubelik schickte die Besucher in diesem Jahr im ganzen Schloss auf Schatzsuche. In goldener Miniaturausgabe konnte man in ihrer Installation WEIA! WAGA! Szenen aus Richard Wagners «Das Rheingold» folgen. Albrecht Fersch präsentiert in der Apotheke sein OPUS MAGNUM – einen «wahrhaften Goldschatz»: Einzelstücke von Konsumgüter-Verpackungen, die er seit Jahrzehnten sammelt und die samt und sonders das Gold im Namen tragen: von der «Knorr «Gold-Rindssuppe» über die «Golden Lady»-Strumpfhose bis hin zum «Kodak-Gold» Farbfotofilm.
Mit den Abgründen von Gold und Reichtum beschäftigten sich zwei ganz unterschiedliche Künstler: VERSCHLUCKTE TRÄNEN ODER GOLDKÜSTE IST ÜBERALL, die Installation von Kurt Scheidegger, kreiste mit Textausschnitten und vielsagenden, geradlinigen Zeichnungen um das Kultbuch «Mars» von Fritz Zorn, einem Bericht über das Unglück eines bürgerlichen, übersättigten Lebens an der Zürcher Goldküste. Federico Rios, Dokumentarfotograf aus Kolumbien, porträtierte in seiner eindrücklichen Fotodokumentation BLUTGOLD das Leben der Arbeiterinnen und Arbeiter in den illegalen Goldminen Kolumbiens.
Goldene Kegel, goldene Formen, goldene Rhythmen
Abgerundet und ergänzt wurde das Programm der Schlossmediale 2019 mit This Islers spannender, märchenhaft und musikalisch umrahmter Wanderung am 11. Juni auf den Spuren des GOLDENEN KEGELSPIELS zur Ruine Wartau sowie drei reizvollen Workshops zwischen «Goldener Form» (Goldschmieden), «Goldener Mitte» (Bogenschiessen) und «Goldenen Rhythmen» (indische Perkussion und Tanz). Restlos ausgebucht war auch diesmal wieder das traditionelle Schlossmediale-Morgen-Yoga im Rittersaal.