Rückblick 2017 – Idylle

Die IDYLLE zelebriert, zerlegt und zerrissen

Die Brüche, die Sehnsüchte, aber auch die Idee und Greifbarkeit von IDYLLE hat die 6. Schlossmediale von 2. – 11. Juni 2017 im Schloss Werdenberg untersucht: 2.652 Besucher erlebten dieses sehr abwechslungsreiche Thema in stimmungsvollen Konzerten, Performances und der Ausstellung im Schloss in all seinen mannigfaltigen und auch widersprüchlichen Facetten. Vier Konzerte – der Eröffnungsabend IN ARKADIEN mit dem Mandelring Quartett, EMILIAS LÄCHELN mit der Klezmerband Klezmeyers, KAIMOS mit Maria Farantouri und MEDITERRANEO, das Gastspiel des Barockensembles L’Arpeggiata – waren restlos ausverkauft und bescherten der Schlossmediale einen neuen Besucherrekord. 

«Ein Traum ist in Erfüllung gegangen»

«Dass die Idylle in den Augen des Betrachters liegt, erlebte man bei der diesjährigen Schlossmediale aufs Intensivste – und dass all diese unterschiedlichen Perspektiven zu einem runden Ganzen geführt haben, hat mich sehr gefreut», sagt die künstlerische Leiterin des Schloss Werdenberg, Mirella Weingarten. «Die Künstler sind tief in dieses Thema eingetaucht, in ihrer Musik, aber auch im Herzstück den Schlossmediale, der Ausstellung, in der etwa die Figuren des Bildhauers Bruno Walpoth in den Räumen des Schlosses ein zauberhaftes Eigenleben entfalteten. Mein Traum von vorab bereits ausverkauften Konzerte ist so sehr in Erfüllung gegangen, dass es mir um die zahlreichen Besucher, der keine Karten mehr erhalten hatten, wirklich Leid tat.»

«Vier restlos ausverkaufte Konzerte, ein neuer Besucherrekord und mehr als einmal Standing Ovations zeigen: Die Schlossmediale ist in ihrer 6. Saison wahrlich im Schloss angekommen. Auch in diesem Jahr hat sich wieder gezeigt, wie wandelbar und immer wieder aufs Neue einzigartig der Rahmen ist, den die Räume des Schloss Werdenberg der Schlossmediale verleihen – sei es Musik, Sprechtheater oder viele stille, in sich gekehrte Menschen aus Holz», zieht Kurt Scheidegger, Geschäftsleiter des Vereins Schloss Werdenberg, erfreut Bilanz. «Begeistert angenommen wurde aber auch die neue kulinarische Ausrichtung des Bistros zur Schlossmediale: Dank des italienischen Spitzenkochs Stefano Giarraputo und seinem Team war neben dem Kunstgenuss auch für das leibliche Wohl der Gäste bestens gesorgt.»

Ergreifendes Eröffnungskonzert mit dem Mandelring Quartett

Bereits der erste Tag der diesjährigen Schlossmediale war ausverkauft: Für das Konzert IN ARKADIEN gastierte das weltbekannte Mandelring Quartett erstmals im Schloss Werdenberg. Gemeinsam mit der meisterhaften Sopranistin Ruth Rosenfeld präsentierten die drei Geschwister Sebastian Schmidt (Violine), Nanette Schmidt (Violine), Bernhard Schmidt (Violoncello) sowie Andreas Willwohl (Viola) nicht nur die fulminante Uraufführung des äusserst fordernden Auftragsswerks «Stilleben» des diesjährigen Komponisten im Fokus, Michael Wertmüller. Gemeinsam folgten Musiker und Sängerin im Laufe des Abends den unterschiedlichsten Spuren von Idylle – von W.A. Mozarts heiter-tänzelndem Jagdquartett über die nachdenkliche Klangpoesie Ottorino Respighis «Il Tramonto», bis hin zu Dmitri Schostakowitschs ergreifendem 8. Streichquartett. 

Stoisch-heitere Geschirrperformance und Schubert in der Badewanne

Stoisch-heiter mit energischem Schlusspunkt das Konzert SCHÄFERSTUNDEN tags darauf: Hatte die Sopranistin Ruth Rosenfeld am Freitag noch mit dem Mandelring Quartett auf der Bühne gestanden, so sang sie am Samstag schaumumkrönt in Fräulein Hiltys Badewanne Franz Schuberts «Klagelied des Schäfers». Begleitet wurde sie vom Trio III-VII-XII, die die zarte Schubertmelodie mit wassergefüllten Weingläsern zum Klingen brachten. Zuvor schon hatte das Trio in einer einzigartigen Performance bewiesen, welch rhythmisches und melodisches Potential in einem simplen Geschirrservice steckt. Höhepunkt des Abends aber war das Schlagzeug-Solo von Michael Wertmüller: Eine rhythmische Glanzleistung des Ausnahme-Schlagzeugers, der in seinem eigenen Werk voller rasender Tempi und kompliziertester Rhythmen seine unvergleichliche Präzision unter Beweis stellen konnte.

Singen, lieben und ein Leben mit Bach


Unvergleichliches auch am Montag: Diesmal war es der Stimmumfang des Schweizers Christian Zehnder, der für Staunen sorgte. Zwischen tiefstem Bass und höchsten Falsett, zwischen Jodel und Sprechgesang, zwischen Kuhglocke und Transistorradio bewegte er sich in seinem Soloabend SONGS FROM NEW SPACE MOUNTAINS. Bittersüss, wehmütig und dennoch auf beinahe trotzig Weise heiter waren das Konzert EMILIAS LÄCHELN und der Theaterabend ALLE LUST WILL EWIGKEIT: In ersterem folgten die Berliner Klezmeyers gemeinsam mit der großartigen Jiddisch-Sängerin Sasha Lurje den Spuren der jüdischen Klezmermusik, immer schwebend zwischen schwermütig und aufgekratzt. In zweiterem war die Schauspielerin Claudia Hübbecker ein weiteres Mal zu Gast im Schloss: In einem musikalischen Solo-Theaterabend nach dem Roman «Das Vermächtnis der Eszter» von Sandor Marai, schilderte sie, genial durchwirkt mit Chansons von Kurt Weill, die Geschichte einer Frau, die nach zwanzig Jahren erneut Besuch von ihrer einzigen grossen Liebe, dem charmanten Hochstapler Lajos, erhält. Das Konzert DECONSTRUCTING BACH des international gefragten Cellisten Alban Gerhardt war nicht nur ein Eintauchen in seine meisterhafte und aussergewöhnliche Interpretation von Bachs sechs Cellosuiten. Zwischen den Suiten plauderte Gerhardt ganz unbefangen «aus dem Nähkästchen» – schilderte zahlreiche persönliche Erfahrungen mit Bachs Cellosuiten, demonstrierte unterschiedliche Spielweisen und deren Effekte auf die Musik, und liess das Publikum augenzwinkernd teilhaben an den Tücken eines Lebens als Solocellist. 

Magisch, melancholisch, tief berührend

Ein durch und durch magisches, hoch emotionales und frenetisch bejubeltes Konzert war das Gastspiel der griechischen Gesangslegende der 70er Jahre, Maria Farantouri: Mit ihrer tiefen, samtigen Stimme und Kult-Chansons wie Mikis Theodorakis «Kaimos» rührte sie die Besucher zu Tränen. Ein langgehegter Wunsch der Schlossmediale ging im Abschlusskonzert MEDITERRANEO mit dem Gastspiel von Christina Pluhar und dem Ensemble L’Arpeggiata in Erfüllung: Mit den «canti greci-salentini», Liedern und Tarantellen, die ihre Wurzeln in Italien haben, seit Jahrhunderten jedoch von der im Salento ansässigen griechischen Bevölkerung in ihrer Muttersprache gesungen werden, rückte auch L’Arpeggiata die Sehnsucht nach einer längst verlorenen Zeit in den Mittelpunkt. 

Zarte Klänge und wummernde Bässe in 2262 Metern Höhe

Das Highlight des diesjährigen Festivals aber war die Fahrt der Schlossmediale auf den 2262 Meter hohen Chäserrugg für das Konzert NIEMANDSKLIPPEN. Bereits als die Seilbahngondel die steilen Felsklippen erklomm, erklangen Zäuerlis des Jodlerterzetts Hersche/Looser. Oben angekommen gab es zunächst atemberaubende Aussichten und Käsespätzli mit Apfelmus. Das Konzert im schlichten, hohen und weiten Gebäude von Herzog & de Meuron offenbarte einmal mehr die Fragwürdigkeit von IDYLLE: Während Nebelschwaden an den grossen Fenstern vorbeizogen, schienen der Nay-Flötist Panagiotis Tsappis und die Sopranistin Eleni Irakleous, die Jodlerin Nadja Räss und der Drehleierspieler Matthias Loibner, sowie der Knabensopran Dominik Führer das Publikum mit zarten Klängen in ein längst vergangenes Arkadien zu locken. Das Trio Steamboat Switzerland (Dominik Blum, Hammond-Orgel, Marino Pliakas, E-Bass und Lucas Niggli, Schlagzeug) zerfetzte dieses aufziehende Idyll jedoch immer wieder aufs Neue mit geradezu ekstatisch anmutenden Kompositionen von Michael Wertmüller: Donnernde Rhythmen, heulende Orgeltöne und wummernde Bässe gingen dem Publikum direkt unter die Haut. 

Bei der KINDERMEDIALE hingegen waren es so mucksmäuschenstill wie selten: Ganz und gar gebannt lauschten die jüngsten Besucher in diesem Jahr nämlich zwei anderen Kindern – dem zehnjährigen Philipp und dem zwölfjährigen Leo Seppi, zwei Brüder aus Südtirol, die gemeinsam Janoschs Geschichte OH WIE SCHÖN IST PANAMA vorlasen. Bewegte Bilder von Wiebke Pöpel und die sehnsuchtsvollen Klänge der Klezmeyers illustrierten die Abenteuer des Bärs und des kleinen Tigers, die Geschichte einer Freundschaft und einer vermeintlichen Reise nach Panama. 

Stille Figuren, Nahtod-Träume und Kajütenidyll

Die Ausstellung, das Herzstück einer jeden Schlossmediale, wurde in diesem Jahr beseelt von den lebensgrossen Figuren aus Linden- und Nussholz des Südtiroler Holzschnitzers Bruno Walpoth, die den Räumen des Schlosses zehn Tage lang ein ganz eigenes Leben einhauchten. Die Installationen der drei Stipendiaten – Albrecht Fersch (D), Sarah Hillebrecht (D) und Wiebke Maria Wachmann (D) – folgten ebenfalls den Spuren der IDYLLE: Albrecht Fersch nahm die ganze Schlossküche mit seiner komplexen Raum- und Klanginstallation DAS WOHLZERLEGTE KLAVIER in Beschlag, in der er abgelegten Alltagsgegenständen einen neuen, musikalischen Sinn verlieh. Sarah Hillebrecht versetzte mit ihrer Performance MEERESRAUSCHEN in der Vögtestube die kuschlige Kajütenatmosphäre ihrer ostfriesischen Heimat kurzerhand in die Schweizer Berge. Und Wiebke Maria Wachmann schuf mit ihrem Diorama DER TRAUM VOM IDYLL, eine ganz andere Aussicht auf das Schloss. Indem sie die Landschaft in ein allumfassendes Weiss hüllte, gab ihr Werk eine Blick frei auf eine Welt zwischen Alb- und Tagtraum, zwischen Nahtod-Erfahrung und gespenstischer Verlassenheit. Im Schlosskeller waren Arbeiten zweier Künstler der Region zu sehen: Die faszinierend-kraftvollen Landschafts-, Stadt- und Industriebilder von Peter Fuchs und die Bilder des Graphikers und Künstlers Adrian Scherrer, gemalt nach Fotografien, die er beim Gleitschirmfliegen aufgenommen hat. 

Abgerundet und ergänzt wurde das Programm der Schlossmediale wieder mit einer packenden Führung, zwei reizvollen Workshops und einem mitreissenden Abschlusskonzert im Schlosshof: Neben dem sehr gefragten Yoga im Dachstock des Schlosses, gab es dieses Jahr im Schnitz-Workshop HOLZ ZU FORM die seltene Gelegenheit, mit dem Künstler im Fokus Bruno Walpoth drei Tage lang zu arbeiten und von ihm zu lernen. This Isler erkundete in WERKKLANG IDYLLE einen Nachmittag mit eindrücklich inszenierten Führungen die bewegte, regionale Industriegeschichte des 19. Jahrhunderts. Und zum Grande Finale bescherte das warme Sommerwetter und das Frauentrio INEZ PROJECT dem Publikum noch einmal einen absolut magischen Abend unter dem Sternenhimmel zwischen See, Schloss und Alpengipfeln.