Rückblick 2021 –
Gross und klein

GROSSES UND KLEINES, ALLTÄGLICHES UND AUSSERGEWÖHNLICHES

Es war eine ganz besondere Schlossmediale: 2020 wegen der Corona-Pandemie mitsamt KünstlerInnen und Programm in einen einjährigen Dornröschenschlaf versetzt, war auch bis vier Wochen vor Beginn des Festivals nicht klar, ob es tatsächlich stattfinden konnte. Doch es gelang: Von 21. – 30. Mai 2021 konnten die Besucherinnen und Besucher der 9. SCHLOSSMEDIALE WERDENBERG an zehn mitreissenden Abenden das Jahresthema GROSS UND KLEIN nicht nur erleben, sondern es in der Ausstellung auch aus unterschiedlichsten Perspektiven wahrnehmen und selbst durchwandern.

Um der aufgrund der Corona-Vorschriften geringeren Personenanzahl pro Konzert gerecht zu werden, hatten sich die Künstlerinnen und Künstler in diesem Jahr spontan bereit erklärt, ohne zusätzliche Gage zweimal pro Abend zu spielen. Und das Publikum liess sich diese erste Chance auf ein Live-Konzert nach so langer Kulturabstinenz nicht entgehen: Zahlreiche Konzerte waren ausverkauft (das Eröffnungskonzert EINES TAGES ALLTÄGLICH, die Konzerte GRANDE MONDO und DAVID UND GOLIATH, das Gastspiel des Naghash Ensembles SONGS OF EXILE und das Konzert VIELE KLEINE DINGE MACHEN GROSSE BERGE bei der Eggenberger Recycling AG in Buchs). Auch die Ausstellung GROSS UND KLEIN war sehr gut besucht. Unter Berücksichtigung aller Einschränkungen konnten bei der Schlossmediale 2021 1'259 Besucherinnen und Besucher gezählt werden.

«Es war für uns alle ein ganz besonderes ‹erstes Mal›»

«Diese Schlossmediale war für uns alle wie ein allererstes Mal», fasst die künstlerische Leiterin des Schloss Werdenberg, Mirella Weingarten die Stimmung der vergangenen zehn Tage zusammen: «Für viele Künstler war es der erste öffentliche Live-Auftritt vor Publikum seit Monaten, für die Besucherinnen und Besucher das erste richtige Live-Konzert nach einem langen, dunklen Winter. Ich möchte mich von ganzem Herzen bei allen Beteiligten – den Künstlerinnen und Künstlern, vor allem aber auch beim ganzen Schloss-Team – für die Bereitschaft bedanken, unentgeltlich zwei Konzerte an einem Abend zu stemmen. Die Vorbereitungen für das Festival waren gespickt mit Ungewissheiten und Umplanungen und haben uns alle sehr viel Kraft gekostet. Doch es hat sich gelohnt: Die Stimmung, die sich an jedem Abend zwischen Künstlern und Publikum entwickelt hat, war mehr als Entschädigung genug!»


Auch Thomas Gnägi, Leiter des Schloss Werdenberg, zeigt sich erleichtert und hocherfreut: «Dass es die – doch etwas überraschenden! – Öffnungen im Mai ermöglicht haben, unser Festival tatsächlich abzuhalten, war ein wunderbares Erlebnis. Es war an allen Abenden sehr intensiv zu spüren, wie sehr das kulturelle Leben geschätzt wird – und wie es in diesen zehn Tagen geradezu neu erlebt und entdeckt wurde: Diese Atmosphäre war für alle Beteiligten etwas ganz Besonderes und wird uns sicher allen noch lange in Erinnerung bleiben.»

Gewöhnliches außergewöhnlich, Alltägliches einzigartig

Das erste Wochenende stand ganz im Zeichen des diesjährigen Kompositionsteams im Fokus, der spanischen Komponistin Elena Mendoza und des deutschen Regisseurs Matthias Rebstock. Seit vielen Jahren schon arbeiten die beiden zusammen, ihre Werke sind ein einzigartiges Gesamtkunstwerk aus Musik und Inszenierung, das vom ersten Moment der Proben an stets gemeinsam mit den Darstellenden entwickelt wird. Im Zentrum des Eröffnungskonzerts der Schlossmediale EINES TAGES ALLTÄGLICH am Freitag, 21. Mai standen der kleine Alltag und die grossen, menschlichen Ideen: «Auch die grösste Sache wird eines Tages alltäglich» heisst es im Gedicht «Über die grosse Sache» von Günter Kunert, eine der Textgrundlagen des Konzerts. Kaum ein Satz könnte wohl dieses Jahr der Pandemie besser zusammenfassen als dieser. Er war auch gleichsam das Motto des Eröffnungskonzerts, in dem das Ensemble Ascolta gemeinsam mit Violinistin Emmanuelle Bernard, Schlagzeuger Tobias Dutschke und der Sängerin und Performerin Kara Leva die Kompositionen von Elena Mendoza beinahe unmerklich unter die Leute brachte: Die Klänge von Küchenreiben und Weingläsern, von Schüsseln, Handbürsten, Murmeln und Milchaufschäumern verwandelten sich im Dachstock des Schlosses in faszinierende Musik – als hätten all die Küchengegenstände in ihrem Leben nie eine andere Bestimmung gehabt.

Harfenklänge, kraftvoll und wild

Im Wandelkonzert GRANDE MONDO am Samstag, 22. Mai stand neben Kompositionen von Elena Mendoza vor allem die Harfe, das diesjährige Instrument im Fokus, im Mittelpunkt. Erst aber war der kleinste Darsteller der Schlossmediale der Star des Konzerts, zum Leben erweckt vom Musiker und Marionettenspieler Theodore Korozis aus Athen. Weiter wanderte das Publikum in den ersten Stock, wo auf einem «Turm zu Babel» aus alten Möbeln, Teppichen, Lampen, Eimern und einem Spinnrad Kara Leva und Tobias Dutschke ihre skurril-virtuose Bearbeitung von Mauricio Kagels gleichnamigem Werk präsentierten. Im Dachstock schliesslich bewies der italienische Virtuose Antonio Ostuni mit dem Harfenkonzert des Argentiniers Alberto Ginastera eindrücklich, welche wilde Energie in seinem Instrument steckt. Ebenso kraftvoll die Darbietung der jungen Pianistin Talvi Hunt aus Estland, die Enno Poppes «Thema mit 840 Variationen» so präzise wie energiegeladen ins Schloss brachte. 

Die Kleinsten werden die Grössten sein

Allein im grossen Tor stehend und ganz und gar ungerührt von Hundegebell und Babygebrüll im Schlosshof eröffnete die 12jährige Querflötistin Sarah Vester am Sonntag, 23. Mai virtuos das Konzert DAVID UND GOLIATH mit Arthur Honeggers «Danse de la Chèvre». In der Schlosshalle spielte schon die 12jährige Lorena Toplak aus Gams auf der Gitarre, dann ging es weiter in den dritten Stock. Dort warteten bereits eine kleine und eine grosse Musikerin an zwei ebensolchen Harfen: Zusammen mit ihrer Lehrerin Julia Steinhauser zeigte die erst neunjährige Alia Rüegsegger ihr schon beachtliches Können. Das Geschwisterpaar Johannes und Veronika Storch aus Deutschland beeindruckten unter anderem vierhändig am Klavier. Ganz und gar in sein Instrument versunken war der hochtalentierte fünfzehnjährige Pianist Vangelis Papanikolaou aus Athen, der neben Werken von Liszt und Beethoven auch eine Eigenkomposition präsentierte. Höhepunkt des Abends war die Uraufführung von «Die wundersame Reise von Vianne, Romy und Julien», das Elena Mendoza für die und mit den drei Jugendlichen des preisgekrönten Schweizer Jurovi Trios (Vianne Kagerer, Violine, Julien Kagerer, Violoncello und Romy Unseld, Klavier) erschaffen hat. 

Jazzig, archaisch – armenisch!

Entrückt und zeitgenössisch, jazzig und archaisch, traditionell und modern: Die Musik des armenisch-stämmigen Amerikaners John Hodian für das Naghash Ensemble für die SONGS OF EXILE verband in zwei ausverkauften Konzerten am Sonntag, 24. Mai die Spiritualität traditioneller armenischer Musik mit zeitgenössischen Klängen und der Energie von energiegeladenem Jazz. John Hodian sass an diesem Abend selbst am Klavier und zog gemeinsam mit drei brillante Sängerinnen – klassisch ausgebildet und gleichzeitig in der armenischen Musik tief verwurzelt – und einigen der besten Instrumentalisten Armeniens an Duduk, Oud und Dhol das Publikum vollkommen in seinen Bann. Am Ende gab es im Dachstock des Schlosses lange Standing Ovations. 

Gleiten zwischen Sprache, Bildern und Musik

GROSSE KLEINE LEUTE am Mittwoch, 26. Mai stand ganz im Zeichen der Sorgen und Nöte der «kleinen Leute», entwickelt für die Schlossmediale von Mirella Weingarten zusammen mit der Schweizer Schauspielerin und Sängerin Delia Mayer und dem Thurgauer Perkussionisten Fabian Ziegler. Es war ein Abend des Gleitens zwischen Sprache, Bildern und Musik: Da war Delia Mayers mal sanfte, mal kraftvoll, stakkatoartige Rezitation von Texten zwischen Shakespeare und Fallada, zwischen Brecht und Botho Strauss. Immer wieder flossen Worte und Musik über- und ineinander; die Pauken- und Marimbaklänge Fabian Zieglers wurden zu einem Sprechen der Musik, Delia Mayers Sprache zu rezitierter Melodie. Im Hintergrund auf der Leinwand als Projektion bewegten sich fein ziselierte Zeichnungen und Malereien von Mirella Weingarten und Videos von Russel Wharton und Wiebke Pöpel: Sie waren Bühnenbild, Illustration und Kommentar zugleich.  

Ein gelungenes Multimedia-Experiment zwischen Schottland und der Schweiz

Es war ein Experiment – und es ist gelungen: Weil das Harfenduo Sìleas aufgrund der strengen, britischen Corona-Vorschriften nicht in die Schweiz reisen konnte, hatte Mirella Weingarten im Winter kurzerhand beschlossen, die beiden Harfenistinnen im Konzert VON SCHLOSS ZU SCHLOSS per Video zu übertragen: Und so spielten und sangen Mary McMaster und Patsy Seddon im Konzert am Donnerstag, 27. Mai in Hatton Castle, einem kleinen Schloss 15 Kilometer vom schottischen Dundee und wurden live in den Dachstock des Schloss Werdenberg übertragen. Dort war das Schweizer Duo Harps & Pipes zugegen – Karen van Rekum an der Harfe und Marina Tanner am Dudelsack. Die beiden Duos spielten zunächst je abwechselnd und am Ende sogar gemeinsam. Moderiert in perfektem Deutsch von Patsy Seddon, war es ein verträumter Abend voller wehmütiger, melancholischer, wunderschöner Melodien: schottische Arbeitslieder und Traditionals, irische Weisen, Volkstänze und Eigenkompositionen, geprägt vom kontrastierenden Klang der unterschiedlichen Harfen, gepaart mit dem samtenen, gälischen Zwiegesang der beiden Schottinnen. 

Elegisch-avantgardistische Mittsommernacht

Eine erste «Mittsommernacht» im Freien nach einem regnerischen, viel zu kalten Mai erlebte das Publikum am Freitagabend, 28. Mai: Wegen des schönen Wetters wurde das Konzert MIDSUMMER NIGHT mit dem norwegischen Marimba-Vibraphon und Perkussions-Virtuosen Håkon Mørch Stene und dem deutschen Pianisten Ralf Schmid kurzfristig auf die Bühne im Schlosshof verlegt. Die beiden meisterhaften Musiker fesselten im sanften Abendlicht mit mal elegisch-elektronischen, mal jazzig-avantgardistischen Klängen. Auch für die beiden war es das erste Konzert vor Publikum nach vielen Monaten, und Pianist Ralf Schmid berichtete zwischen den einzelnen Nummer sehr offen von seinem Leben als Musiker in diesem Ausnahmejahr, in dem Kultur nicht stattfinden konnte.

Renaissancegemälde im Recyclinghof

Vom Bergwerk bis zum Voralpsee, vom Thermalbad bis zur modernen Architektur hoch auf dem Chäserugg: Schon viele aussergewöhnliche Orte waren schon Schauplatz der traditionellen Schlossmediale-«Aussenspielstätte». Für das Konzert VIELEN KLEINE DINGE MACHEN GROSSE BERGE am Samstag, 29. Mai blieb man zwar ganz in der Nähe des Schlosses – doch Mirella Weingarten hatte mitten im Industriegebiet von Buchs einen Ort gefunden, den wohl niemand je mit Musik in Verbindung gebracht hätte: Die kathedralenartig-riesige Halle der Eggenberger Recycling AG empfing das Konzertpublikum mit der friedlich, aufgeräumten Atmosphäre riesiger, hoch aufgetürmter, nach Farben, Formen und Materialien sortierter Schrottberge. Glitzerndes Stahl, matt glänzendes Aluminium, graue Kunststoffpappen – und mittendrin die Barockmusik auf dem Akkordeon von Viviane Chassot, sehnliche-entrückte Harfenklänge von Karen van Rekum und der sonore Bass von Andreas Fischer. Weiter zogen die Zuhörerinnen und Zuhörer und lauschten Klängen von Monteverdi bis Purcell, gesungen von den beiden herausragenden Countertenören David Feldman und Doron Schleifer; Hintergrund im fahlen Licht der Abendsonne mehr Renaissancegemälde als Recyclinghof. Inmitten abertausender, bunter, kleiner Dosen dann der dritte Streich des Konzerts: «Persona», die Live-Elektronikperformance von Tabla-Virtuosen Stefan Keller und Bass Andreas Fischer.

Musikalische Begegnungen von Gross und Klein

Das Abschlusskonzert BRIEF TALES FOR TWO und das GRANDE FINALE der Schlossmediale am Sonntag, 30. Mai bildeten einen würden Festival-Abschluss: Für BRIEF TALES FOR TWO hatten Anna Fusek und Gianluca Geremia, zwei virtuose Multi-Instrumentalisten, speziell für die Schlossmediale ein ganz besonderes Konzert entwickelt, in dem die beiden mühelos und frei von der Alten Musik über Renaissance- und Barockklänge bis hin zu Zeitgenössischem und moderner Improvisation glitten. Die beiden virtuosen Multi-Instrumentalisten spielten auf kleinen und grossen, alten und neuen Instrumenten: von der Pikkolo- bis zur Altflöte, von der Barockgeige bis zum Spielzeugklavier, von Laute und Theorbe bis hin zur Gitarre. Das GRANDE FINALE im Schlosshof brachte eine kleine Erinnerung an die letztjährige «Carmen»-Inszenierung von Kuno Bont für die Schloss-Festspiele am Werdenberger See. Aufgrund der Corona-Gebote konnten zwar nur einige Kinder und nicht der ganze Kinderchor auftreten, doch das Bild – grosse Menschen lassen kleine Kinder wie Marionetten laufen – hatte nichts von seiner poetischen Kraft eingebüsst. Dazu liessen Anna Fusek, Gianluca Geremia und Akkordeonistin Viviane Chassot auf ihren Instrument virtuos ein ganzes Orchester erklingen.

 

KINDERMEDIALE: Eine kleine Maus lernt Geige spielen

Ganz und gar mucksmäuschenstill war es in diesem Jahr bei der KINDERMEDIALE: Diesmal konnten die Kleinsten dabei sein wie Charly, die neugierige Puppen-Maus, das Geigenspielen erlernte – und sie taten es in zwei ausverkauften Vorstellungen des Puppenspiels mit ganzer Hingabe. Die Geigerin Sophie Engel-Bansac und die Puppenspielerin Alina Niborski haben das Stück DIE GEIGENMAUS speziell für das Schloss Werdenberg erschaffen, in dem Charly und seine Freundin, die winzige Ameise Titina, nicht nur lernen, wie man auf einer Geige spielt, sondern auch, wie das Instrument aufgebaut ist und wie es funktioniert.

Räume und Gnome, Hemden und Bauchnabel

Riesige weisse Mäntel und ein kleiner schwarzer Fisch, hunderte alte Postkarten und ein riesiges Gebilde aus vielen kleinen, alltäglichen Keramikgegenständen. Merkwürdige Schattenfiguren in der Zinne, kleine Wesen aus Holz im ersten Stock, viele kleine Bauchnabel im Keller und die Möbel eines Riesen im Schlosshof: Die AUSSTELLUNG der Schlossmediale zum Thema GROSS UND KLEIN liess die Zuschauerinnen und Zuschauer im ganzen Schloss auf eindrückliche Art und Weise ganz unterschiedliche Perspektiven einnehmen, liess sie sich einmal ganz klein und einmal ganz gross fühlen. 

William Speakman, der in diesem Jahr gemeinsam mit der Choreographin Sabine Hausmann das Künstlerteam im Fokus war, spielte in seiner Installation INNER CHAMBER mit grossen und kleinen Räumen, mit Enge und Übergängen. In die Schlossküche baute er einen neuen Raum im Raum, in dessen Begrenztheit sich am Eröffnungsabend fünf Tänzerinnen in der Performance INSIDEOUT UPSIDEDOWN bewegten: «Einen Raum in einen anderen Raum zu stellen und ihm eine geheime Qualität zu verleihen, ist ein netter Gedanke», so Speakman im Künstlergespräch, «denn es waren immer schon vor allem die Übergänge von einer Sphäre in eine andere, die mich fasziniert haben.» Räume andere Art gab es in Speakmans Video UNDERWATER zu sehen, in dem er den Makrobildern einer Unterwasserwelt mittels Projektion überlebensgrosse Dimensionen verlieh.

Verhältnisse und Perspektiven bestimmten auch die Werke, die die diesjährigen Stipendiaten während eines sechswöchigen Aufenthalts speziell für das Schloss entwickelten: Das Frauen-Duo Katherine Newton und Katia Rudnicki bestückte den Turmkeller in der Installation KLEID mit überdimensionalen, weissen, von innen beleuchteten Hemden, die wie riesige Geister in dem dunklen Raum zu schweben schienen. Im Kellergeschoss stand ein kleines Ding im Mittelpunkt, das jeder Mensch sein eigen nennt: der Bauchnabel. Für die Videoinstallation MOTHER I ONLY HAVE ONE SCAR FROM YOU umzingelten diese die Besucher geradezu – in unterschiedlichsten Formen auf allerlei Bildschirmen. 
Lilla von Puttkammer liess im Bärenzimmer im Dachstock unzählige, von ihre selbst aus Ton nachgeformte und gebrannte Alltagsgegenstände von der Decke baumeln: in ihrer Installation HANNAHS HÖHLENGLEICHNIS entstand aus einem Spiel mit Licht und Schatten, mit Massstäben und deren Vertauschung eine vielschichtiges Werk, das sich auf Platons Höhlengleichnis genauso bezog wie auf die Aussage der Philosophin Hannah Arendt, dass wir nicht wissen können, was absolute Grösse ist, sondern nur, ob etwas grösser oder kleiner in Bezug auf etwas anderes ist. 
Roland Stratmanns Installationen stellten ebenfalls Fragen nach Standpunkten und Blickwinkeln von «Gross und Klein». Für die Installation GLOBULI fügte Stratmann 600 aus der Schweiz in die ganze Welt versendete Postkarten aus 10 Dekaden zu einem riesigen Bildteppich aus hunderten, individuellen Handschriften zusammen. In der Turmzinne waren Stratmanns SHADOWS zu sehen, kleine Skulpturen, geflochten aus einem zusammenhängenden schwarzweissen Datenkabel: Seltsame Gnome auf einer Weltkarte, die auf ihrem eigenen Schatten zu balancieren scheinen.

Auch Live-Performances gab es in diesem Jahr im Rahmen der Ausstellung täglich: Da war die Schattenspielerin Adelheid Kreisz, die in ihrer Performance GRANDE PICCOLO gemeinsam mit der Flötistin Els Jordaens die Frage nach dem Verhältnis von Gross und Klein ganz direkt beantworten konnte: Denn im Schattenspiel ist die Grösse einer Figur nur eine Frage Abstands von der Lichtquelle: Blitzschnell kann Kleinstes auf diese Weise riesige Dimensionen annehmen. Gefangen von kleinen Figuren war auch die Bildhauerin Sarah Hillebrecht in ihrer Sculpture Performance UNTERLIEGEN: Einmal am Tag konnte man sie dabei beobachten, wie sie scheinbar hilflos von vier dämonenhaft-emsigen Holzfiguren übermannt wurde. «Unterliegen» ist die bildliche Übersetzung eines seelischen Zustands: Was tun, wenn wir uns unseren inneren Dämonen gegenüber ohnmächtig fühlen? Ganz und gar nicht ohnmächtig war hingegen der kleine Fisch SWIMMY in der Videoinstallation von Wiebke Pöpel im Dachstock: Als einziger Überlebender eines grossen Schwarmes wagt er sich aufs offene Meer, wo er viele andere kleine Fische dazu ermuntert, gemeinsam einen riesigen Fisch bilden, vor dem sich die grossen Fische fürchten. Vom italo-amerikanischen Grafiker Leo Lionni in den sechziger Jahren entworfen, ist Swimmy bis heute als Sinnbild für «Gemeinsam sind wir stark» eines der weltweit erfolgreichsten Kinderbücher.
 

Kleine Häuser, grosse Schatten, klangvolle Harfen

Abgerundet und ergänzt wurde das Programm der Schlossmediale 2021 mit This Islers spannender Führung ins kleinste Haus von Werdenberg, das normalerweise nicht zugänglich ist, sowie drei reizvollen Workshops «Kleiner Mensch, grosser Schatten» (Schattenspiele basteln), «Happy Harps» (Harfen-Schnupperkurs für Kinder) und einem Harfen-Workshop für Erwachsene. Ausgebucht wie immer war auch das traditionelle Schlossmediale-Morgen-Yoga im Rittersaal.